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Kontur im Raum
Heinrich Karner möchte Empfindungen wachrufen und das mit möglichst wenigen Mitteln. Seine Abstrahierung hat eine Ebene der Materialität und eine von der Figuration ausgehender Reduzierung auf Konturierungen und Geometrisierungen. Sein Formvokabular setzt Quadrate als Zenten oder Gitter ein, nutzt das Lineal für Diagonalen und Trapezformen und setzt Kurven und Schwünge frei Hand. Meist lässt er die aus umrissenen Formen erwachsenen Figurationen sich im offenen Raum durchdring n. Wie Draht erscheinen sie als Zeichnung im Raum. Sie gruppieren sich mit einer zueinander geordneten Begegnung ohne direktes Zwiegespräch, aber nicht in einem perspektivisch einheitlichen Raumgefüge. Das gibt den Figurationen, Männern, Frauen oder Fischen eine archaisierende Präsenz, die aber in ihrer grundrisshaften Kontur zeitgenössisch bleibt, weil sie sich formal mehr auf seine Vorgeschichte als Bauzeichner beruft, als auf kulturgeschichtliche Erzählungsstränge. Da raunt keine Vergangenheit oder Mythos, sondern Menschentypen wirken wie Bauprofile, sind in variierten Gesichtsmasken charakterisiert ohne zu mechanischen Puppen zu werden. Heinrich Karner beobachtet sein Umfeld sehr aufmerksam, setzt aber diese Erfahrungen unmittelbar um und lässt die Materialsprache sandiger Untergründe und gewordener Oberflächen rostiger Fundstücke Empfindungsräume bilden, in die hinein menschliches Verhalten als Applikationen ohne dekorative Wirkung in Durchdringungen ins Verhältnis gesetzt werden. Sie ignorieren den Hintergrund, der homogen wirkt, aber doch ein pulsierender Untergrund ist, in dem Helligkeitsunterschiede und sanfte Reflexionen informellen Charakter gewinnen. Die reduzierte Linie bestimmt sein Schaffen. Die Starre geometrischer Formgefüge bricht er durch Farbe, die nicht bunt, sondern in gedeckten Erdtönen einen neutralen Empfindungsraum erzeugt, sachlich und nicht direkt melancholisch oder depressiv. Eher wie Hinterhöfe und Industrieanlagen. Grabes und feines Korn, Lichtstreuung und Rostanflug bilden einen ortlosen Raum, in dem seine Bilder ohne jeden Impuls mit gezügelter Akkuratesse und feiner Solidität gebaut und geschichtet werden.
Die im frühesten Werk „Dreiklang“ 1979 aus der undogmatisch überformenden Auseinandersetzung mit Linie und Fläche und Grundfarben im Studium erwachsene Flächenaufteilung sucht Ausgewogenheit der Bildfläche und meidet dekorationsgefährdete Abstraktion. Auf der Suche nach einem zeitgenössischen Bildtyp nimmt er von klassischen Schönheitsidealen, geschmeidigen Harmonien und dem
11/usionsraum Abschied und auch von überbordenden Collagen. Angeregt von gesellschaftskritischen Erwägungen, wie sie die Arte Povera und die Materialbehandlung bei Joseph Beuys als Wertschätzung für unedle Materialien in die Kunst einbringen, befasst er sich mit den „Ausscheidungsprodukten des Konsums“, mit Umweltproblemen, Atomkraft, Krieg, Exil und Asyl. Graphisch Emblemhaftes, Materialität vernutzter Oberflächen und ein meditativer Bildraum bieten Konstellationen von Begriffen, Bildzeichen (Gitter, Kreuz, Panzer, Mann und Frau) und Farbstimmungen, die mit geringer spiritueller Intention doch das grundsätzlich Menschliche verhandeln.
Heinrich Karner wuchs in Kohlscheid auf. Sein Vater war Former in einer Gießerei. In seinem Arbeiterweltumfeld gab es Schreinereien und eine Gießerei, die sein Erleben und seine Berufswünsche prägten. Sein Spielfeld waren Formen und Gegenformen, Gußreste, Verrottetes und Verrostetes, Haptische& und Silhouetten, Modelle und Schablonen. Eine Schreinerlehre war seinerzeit nicht möglich, aber da er ungewöhnlich gut zeichnen konnte, führte ein Praktikum beim Architekten Heins zu einer Ausbildung als Bauzeichner beim EBV. Nebenbei hatte er viel Erfolg mit Porträts und trainierte sich im Kopieren eines aquarellierten Vogelbuches. Dabei begegnete er dem italienischen Modelleur und Bildhauer Oskar B. Lamura, der ihm zu einer Kunstakademie riet. Nach einigen‘;\itläufen gelang die Aufnahme an der FH Aachen. Dort unterstütze Günther Knipp seine Begabung im Freihandzeichnen und ermöglichte früh Aktstudien. Die Figur bleibt ein Leitbild seiner ab 1987 forcierten Malerei und Objektcollagen, mit denen er sich vom perspektivischen Bildraum verabschiedet. Er arbeitete nach dem Studium an der FH Aachen zunächst als Graphiker und Layouter. Er musste Satzspiegelgefüge austarieren und orientieren und wie in seiner Bauzeichnertätigkeit Ideen anderer umsetzen. Neben der Grundrisshaftigkeit seiner Bildwelten bleibt davon Schablonenschrift (Plastic Picnic), die Durchsetzung des Bildraumes mit Buchstabenfragmenten als Formwelt über die Pop-Art-Manier hinaus und eine Neigung zu statementhaften Verkürzungen in seinen Bildkonstellationen.
Er verknappt seine Bildmittel nach einer Phase realistischer Malerei, konstruktivistischer, aber das strenge Raster und Prinzipdenken erweiternden und prismatisch zerlegten Bildräumen, die der Fläche und den Durchdringungen mehr Raum geben, und wendet sich der Materialität von Fundstücken zu. Diese bilden Bildgründe und Unerwartetes, fokussieren den Blick, experimentieren mit Zusammenklängen und Formakkorden, montieren sich ins dreidimensionale und sprechen doch eine klare Sprache. Sie bieten einen Denkraum der Formassoziationen durch geometrische Rasterung und Gefachung ohne minimalistisches oder konzeptuelles Programm. Heinrich Karner schließt nicht kategorisch aus, sondern hat sich ein eigenes Vokabular grundsätzlicher Bildbegriffe geschaffen, dass er nuanciert und variiert. Hier raunt kein Bekenntnis, sondern feine Beobachtung einer widersprüchlichen und problematischen Welt findet nüchternen Widerhall im Schürfen nach Wesentlichem. In einer überbordend medialen Bildkakophonie, im visuellen Lärm, bieten seine Bilder einen Raum der Stille, in dem die Oberfläche und nicht die Oberflächlichkeit wieder Präsenz gewinnen kann. Aus seinem Miteinander entsteht subtile Spannung. Die entlädt sich auch inhaltlich in der Auseinandersetzung mit Krieg, Asyl und Exil, mit Gittern, Panzerketten und Plastikmüll. Seine Brennstäbe glimmen gefährlich im Dunkeln und verweisen auf die lange Dauer ihrer schädlichen Wirkung.
Einführung von Dr. Dirk Tölke
Zur Ausstellung FORMEN, 4.3.2023